Verunglückte Berichte

Polizei und Medien betreiben in Unfallberichten regelmäßig Opfer-Täter-Umkehr (#VictimBlaming), entschuldigen die Täter (Unfallverursacher) und beschuldigen die Opfer (Unfallopfer).

(Dieser Artikel beruht auf dem Artikel von Roland Stimpel „Texte mit Totalschaden“ in der Zeitschrift mobilogisch! , in der das Phänomen zuerst beschrieben wurde. Durch die kritische Analyse von Unfallberichten werde ich weitere, verdächtige Floskeln identifizieren und bessere Alternativen vorschlagen.

Die Polizei kann es sich in ihren Berichten heutzutage nicht mehr leisten, einer vergewaltigten Frau einen zu kurzen Rock, und damit eine Mitschuld vorzuwerfen.

Bei Unfällen zwischen Kraftfahrern und Radfahrern bzw. Fußgänger ist dies an der Tagesordnung. Die Presse benutzt die täglichen Unfälle auf unseren Straßen als billiges Füllmaterial um die Seiten vollzukriegen und lässt dabei die gelernte journalistische Sorgfaltspflicht vermissen. Die Polizei gilt als vertrauenswürdige Quelle, die keine logische Überprüfung oder zweite Quelle notwendig hat. Deren Unfallberichte werden daher unkritisch wortwörtlich übernommen, inklusive der darin enthaltenen Windschutzscheibenperspektive.

In den Polizeiberichten hat sich eine Sprache eingebürgert, die nicht in Frage gestellt wird, sondern im Gegenteil anderen unerfahrenen Polizei-„Journalisten“ als Vorlage dient, so dass die schlimmen Floskeln auf immer wiederholt werden.

Bullshit Bingo – schlimme Floskeln und Alternativen

Auto / Lkw / Automarke (autonomes Fahrzeug)

„Der Lkw bog links in die XY Straße ein.“

In Unfallberichten gibt es das autonome Fahrzeug längs, in der Realität noch nicht. Da lenken immer noch Fahrer und treffen Entscheidungen. Die Abwesenheit von einer Fahrerin lenkt von ihrer Schuld ab. Das gilt auch für Fahrer. Statt dessen soll eine Maschine handeln, dann ist sie unbewusst auch Schuld und kein Mensch.

übersah / übersehen

„Der BMW übersah den entgegenkommenden Radfahrer“

Besser: „Der BMW-Fahrer nahm dem entgegenkommenden Radfahrer die Vorfahrt“

erfasste / erfassen

„Das Kind wurde vom Lkw erfasst“

Besser: „Der Lkw schleifte das Kind 30m über den Asphalt.“

Passiv-Konstruktionen des Unfallopfers

„Die Fußgängerin verletzte sich schwer.“

Besser: „Der Fahrer verletzte die Fußgängerin mit seinem Pkw schwer.“

verletzte sich

„Der Radfahrer verletzte sich bei dem Sturz.“

Siehe Passivkonstruktion.

Besser: „Die Autofahrerin rammte den Radfahrer, der dadurch zu Boden stürzte und sich die Schulter brach.“

stürzte

„Der Radfahrer stürzte auf die Fahrbahn.“

Siehe Passivkonstruktion

Besser: Der Lkw-Fahrer fuhr den Radfahrer um.“

(Opfer) kollidierte mit (Täter)

„Die Radfahrerin kollidierte mit dem Mercedes.“

B zog sich eine Verletzung zu

Passivkonstruktion, Täter A abwesend, Opfer B zu blöd, möglichst bürokratische Verschwurbelung des einfachen Sachverhalts: „A verletzte B“.

Besser: „A verletzte B“.

kam es zu

Schicksal, kann keiner was für, die Götter hatten einen schlechten Tag, Täter gibt es keinen.

touchierte

„Der Porsche touchierte den Radfahrer in der Rechtskurve.“

Französisch für „berührte“.

Entschuldigende Untertreibung für „stieß“, „rammte“ „anfahren“, meist in einem Winkel oder seitlich, also nicht frontal. Führt meist zum Sturz des Unfallopfers mit Verletzungen.

plötzlich, unwartet

„Das Kind rannte plötzlich auf die Straße.“

Konnte nicht mehr bremsen

„Der Audi konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen.“

Überhöhte Geschwindigkeit, keine Bremsbereitschaft, Unaufmerksam und eventuell abgelenkt, Sichtbehinderung durch Falschparker.

geriet unter

„Der Radfahrer geriet unter den Lkw“

Passivkonstruktion, der Täter existiert nicht, das Opfer ist zu blöd oder Opfer zufälliger Umstände und ehe er/sie es sich versieht wird er/sie überfahren.

wurde geschoben

„Der Radfahrer wurde in den Straßengraben geschoben.“

Passivkonstruktion, kein Täter.

Euphemismus „schieben“ für eigentlich: „schneiden“, „gefährden“, „nötigen“, „anfahren“ und „seitlich abdrängen“: letzteres ist eine Straftat und kein niedliches „schubsen“.

Glück im Unglück, glimpflich

„Der Junge hatte Glück im Unglück und kam nur mit Knochenbrüchen ins Krankenhaus.“

„Glück“ im Verhältnis zu „eigentlich sterben Kinder, wenn sie auf dem Fahrrad von einem Sattelschlepper überfahren werden.“ Auf dieses „Glück“ würden die Unfallopfer gerne verzichten. Es schwingt Verhöhnung mit, wie bei dem Witz, beim Sturz vom Hochhaus blieb er zum Glück mit dem Auge am Fahnenmast hängen. Das ging noch mal „glimpflich“ aus.

[kein Wort zur Vorfahrt]

„Radfahrer bei Unfall auf B75 schwer verletzt“

Ist das Opfer ein Fußgänger oder Radfahrer wird von der Polizei unter dem Vorwand der neutralen Berichterstattung und dem Verbot einer Vorverurteilung oft verschwiegen, wenn das Unfallopfer nach den Regeln der StVO Vorfahrt hatte, und diese durch einen Autofahrer genommen wurde.

Das der Autofahrer den Radfahrer „übersehen“ hat ist dagegen keine Tatsache sondern eine Vermutung oder eine Aussage eines Unfallbeteiligten (und im übrigen ein Schuldeingeständnis). Wenn also neutral berichtet werden soll, dann ohne „übersehen“, aber mit der Feststellung wer bei Rechts-vor-Links von Rechts kam.

im toten Winkel

„Der Radfahrer befand sich im toten Winkel des Lkw.“

Jeder Lkw bekommt nur eine Zulassung, wenn er die fünf vorgeschriebenen Spiegel vorne hat. Diese haben keinen „toten Winkel“, wie immer noch fälschlicherweise vielen Polizisten behauptet. Man muss allerdings beim Abbiegen oder Losfahren alle fünf im Blick behalten und bremsen wollen. Wenn der Blick statt dessen auf’s Handy geht um eine Whatsapp-Nachricht zu lesen, vor den Spiegeln Gardinen hängen oder TV-Bildschirme, oder die Spiegel nicht, wie vorgeschrieben auf den Fahrer eingestellt wurden, dann können Radfahrer oder Fußgänger deshalb sterben.

Ein Abbiegeassistent (der eingeschaltet ist und dessen Warnungen ernst genommen werden) kann hier sehr viel helfen.

Im übrigen gilt mit der neuen StVO:

Alle Kraftfahrzeuge über 3,5 Tonnen, zum Beispiel Lkw und Busse, die innerorts rechts abbiegen, dürfen auf Straßen, wo mit Rad- oder Fußgängerverkehr gerechnet werden muss, nur noch Schrittgeschwindigkeit (7 bis 11 km/h) fahren.

Halten sich Lkw-Fahrer und Bus-Fahrer daran? Nach meiner Beobachtung nicht. Kontrolliert und sanktioniert die Polizei diese Vorschrift? Ich habe das noch nie beobachten können.

Diese List wird regelmäßig erweitert.